Freitag, 24. März 2023

Ein Dutzend Fragen an Mario ULBRICH - Das Interview

 Ein Dutzend Fragen an Mario Ulbrich

Mario Ulbrich [mu] (geb. 1964) - als Verfasser von Romanen und Kurzgeschichten aus unterschiedlichen Genres der unterhaltenden Literatur bekannt - hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, ein paar Fragen von Dr. Karl Jürgen Roth [kjr] zu beantworten. Das Exklusiv-Interview für PoMeWe wurde am 21. März 2023 geführt.

KJR: Ich habe einige Ihrer Bücher mit Interesse und Gewinn gelesen. Dabei entstand für mich die eine oder andere Frage. Der Schwerpunkt Ihrer schriftstellerischen Arbeit liegt im Bereich der unterhaltenden Belletristik, der Actionthriller und auch des Western. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen und warum schreiben Sie u. a. Wildwestromane? Erzählen Sie doch bitte etwas über Ihren schriftstellerischen Werdegang?
MU: In meiner Schulzeit habe ich angefangen, Comics zu zeichnen – obwohl ich zum Malen wirklich kein Talent habe. Deshalb habe ich mich sehr bald auf Geschriebenes verlegt, das ich meinen Schulkameraden in der Pause vorlas. Meine Serie um die sogenannte Mühlgrabengang mit mir und meinen Freunden in den Hauptrollen war damals legendär, zumindest in unserer Schulklasse. Die Romantitel in der Vorschau diverser Westheftchen haben mich dann dazu inspiriert, es auch mal mit ‚Schundkrimis‘ und Western zu probieren. Dazu müssen Sie wissen, dass ich in der DDR aufgewachsen bin. Geschmuggelte Romanhefte waren selten und begehrt, und die Titellisten am Ende eröffneten mir eine Welt der noch zu erzählenden Abenteuer.
So habe ich mir meinen eigenen Parker zusammenfantasiert, der bei mir kein Butler, sondern Privatdetektiv war. Die Krimis waren so lang wie ein Schulheft dick war und trugen geklaute Titel wie „Parker und die Mädchenkiller“ oder „Parker lässt die Fetzen fliegen“.
Tja und Western. Welcher Junge mochte die damals nicht? Ich habe einen Brief an den Bastei-Verlag geschrieben: „Lieber Verlag! Falls Sie Western-Manuskripte benötigen, bitte melden Sie sich bei mir.“ Ich nehme an, der Brief wurde von der Stasi kassiert, jedenfalls habe ich nie eine Antwort erhalten. Was aber auch gut war, denn meine ersten Westernschreibversuche sind nie über die Rotaseite hinausgekommen, auf der ich stets die Bewaffnung meines Helden beschrieben habe. Zwei Colts, natürlich! Am meisten geprägt hatten mich die Romane „Der schwarze Larry“ von Geo Barring und „Matlock räumt auf“ von H.C. Nagel, die ich mehrfach gelesen, ja regelrecht studiert habe. Viele andere hatte meine Oma allerdings auch nicht. Ich wusste nicht das Geringste über die Romanheftprodutkion, war aber schwer beeindruckt, von dem, was echte Profis zu Papier gebracht hatten. Und heute weiß ich, dass ich damals unbewusst echte Romanheftproduktion nachgeahmt habe: Die komische Mode, nicht den Titel nach der Story zu wählen, sondern die Story an einen vorgegebenen Titel anzupassen.
KJR: Neben Western haben Sie Texte geschrieben, die anderen Genres zuzuordnen ist. Welche Schwerpunkte setzen Sie hier und wie sehen Ihre weiteren Pläne für abenteuerliche Geschichten oder unterhaltende Belletristik aus? - Sind hier Überraschungen zu erwarten?
MU: Meine Wild-Hunters-Actionserie um den Bogenjäger Erik Maurer ist bei vier veröffentlichten Romanen angekommen (plus eine Novelle). Nummer fünf folgt in diesem Jahr. Sieben sollen es werden, vielleicht neun, mal sehen. In dieser Serie geht es um Aliengeheimnisse, Kryptozoologie und grenzwissenschaftliche Themen. Das ist zurzeit mein Hauptwerk und macht eine Menge Arbeit, weil alles miteinander verzahnt ist und die vorkommenden Theorien nicht erfunden sind. Das heißt, es könnte alles wahr sein. Zumindest werden Leser, die sich mit Grenzwissenschaften befassen, sagen können: Das stimmt! Davon habe ich schon mal gelesen.
Seit ungefähr 15 Jahren schiebe ich den Start einer harten Krimireihe um einen ehemaligen DDR-Fallschirmjäger vor mir her. Ob ich dafür jemals die Zeit finde? Denn da ist auch noch ein dreiteiliges Zeitreise-Abenteuer, das in einem DDR-Tagebau beginnt und etwas mit der mysteriösen Nazi-Glocke zu tun hat.
Nicht zu vergessen soll meine Mountain-Men-Serie im BLITZ-Verlag mindestens noch Teil 10 bekommen, aber eigentlich noch einige mehr. Wenn ich bloß nicht ständig auf Arbeit gehen müsste.
KJR: Western bilden einen gewissen Teil Ihrer Arbeit. Sind deren Handlungen einem bestimmten Serienkosmos zuzuordnen oder arbeiten Sie gezielt nach Exposés?. Wo sehen Sie die Vorteile einer solchen Arbeitsweise und was hat Sie dazu getrieben, Ihre Western zu schreiben? Einige Ihrer in Nordamerika spielenden Geschichten beschäftigen sich mit den frühen Mountain Men. Warum haben Sie gerade diese Epoche als Hintergrund für Ihre Western gewählt?
MU: Meine Mountain-Men-Romane gehören zusammen. Sie bauen chronologisch aufeinander auf, neben den Serienhelden Jed und Mel gibt es etliche wiederkehrende Nebenfiguren. Ich arbeite nach ausführlichen Exposés, die ich zwar recht formlos schreibe, da ich sie anders als Romanheftautoren nirgendwo vorlegen muss, aber darin ist konkret festgelegt, was der Reihe nach passiert. Im Laufe der Jahre sind meine „Drehbücher“ immer umfassender geworden, denn diese Arbeitsweise hat sich bewährt. Handlungsteile miteinander zu verzahnen, gelingt mir so wesentlich besser als das beim Aus-dem-Bauch-heraus-schreiben möglich wäre. Auch hilft es, wenn man wie ich größere Pausen beim Schreiben einlegen muss. Wenn ich aufgrund meiner Arbeit oft tagelang nicht dazukomme, an einem Roman weiterzuarbeiten, verliere ich trotzdem nie den Faden. Alles, was wichtig ist, steht ja im „Drehbuch“. Meine Western spielen übrigens alle in der kurzen Ära der Mountain Men. Andere habe ich noch nicht geschrieben. Ich liebe diese Zeit einfach. Sie ist Abenteuer pur. Nach 1840 wird es mir langweilig im Westen und ein Western, der um 1900 spielt, ist für mich fast schon SF. 😊
KJR: Könnte man Ihre Western dem klassischen amerikanischen formelhaften Western zuordnen, wie er z. B. In den Pulp Magazines gepflegt wurde? Solche Texte haben inzwischen auch schon eine lange Tradition und sie sind durch Übersetzungen oder auch deutschsprachige Originalveröffentlichungen hierzulande weit verbreitet. Wie sind Sie dazu gekommen, selbst Wildwestromane zu schreiben, was fasziniert Sie an diesem Subgenre der spannungsreichen Unterhaltungsliteratur und wo liegen Ihre Vorbilder im Bereich des Western?
MU: Ich sehe meine Western in erster Linie als actionreiche Abenteuerromane an. Letztlich ist der Western ja nichts anderes als ein Abenteuerroman, der halt zufällig im amerikanischen Westen in einem bestimmten Zeitraum spielt. Western gelesen habe ich unzählige, aber mein Vorbild ist nicht im Western zu suchen, sondern bei den Sharpe-Romanen von Bernard Cornwell. Meine Mountain Men sind mehr Sharpe im Westen als Nachahmer von Lederstrumpf oder Louis L’Amour. Nicht zufällig taucht immer wieder mal eine Baker-Rifle auf und wenn meine Schlachten hier und da etwas größer ausfallen als man das erwarten würde, kennen Sie jetzt den Grund dafür. Allerdings bemühe ich mich um größtmögliche Authentizität. Bloß Kämpfe kann es eben nie genug geben.
KJR: Der traditionelle Western wird von Literaturwissenschaftlern auch als eine spezielle Manifestation des amerikanischen Gründungsmythos gesehen (z.B. Peter Bischoff), Ähnliches klingt auch schon bei Frederick Jackson Turner in seiner – inzwischen teils als überholt geltenden Konzeption der Frontier-Hypothese an. Wie stehen Sie zu solchen Äußerungen?
MU: Die sind mir herzlich egal. Ein Western ist für mich gute Unterhaltung. Da sollte man nicht groß etwas hineininterpretieren.
KJR: Neben traditionellen Western finden wir auf dem Markt Western, die vor dem Hintergrund der heutigen Gegenwart angesiedelt sind, Western mit Horrorelementen, Adult Western oder Southern (Western, die südlich des Rio Grande spielen), Northern (Handlungsorte: Kanada und Alaska) und selbst in Australien spielende Western. Was halten Sie von solchen Randerscheinungen des Genres und schreiben Sie selbst so etwas?
MU: Wenn sie interessant gemacht sind, warum nicht? Alle diese Spielarten haben ihre Berechtigung, finde ich. Ich selbst mag Adult-Western nicht unbedingt, dafür gibt es ja Pornos. Andererseits: Die besten Pornos waren aufwendige Kostümschinken, warum also nicht auch im Wilden Westen? Oder: Ich mag Western, die im amerikanischen Südwesten spielen, nur sehr bedingt und alles ab Mexico überhaupt nicht. Zu warm. Doch ich bin ja nicht der Gradmesser. Andere Leser lieben den amerikanischen Südwesten und das ist vollkommen in Ordnung. Mein Ding ist eben der Norden. Montana, Wyoming – und lieber Kanada als New Mexico. Aber das wohl nur, weil ich dorthin lieber in den Urlaub fahren würde.
KJR: Immer wieder wird z.B. im Internet oder an anderer Stelle eine Krise des Western bzw. ein fehlendes Publikumsinteresse beklagt. Wie schätzen Sie die derzeitige Marktlage ein, und welche Ratschläge würden Sie einer/einem jungen Kollegin/Kollegen geben, der sich dem Schreiben von Western widmen möchte?
MU: Ja, das Publikumsinteresse ist beim weitem nicht mehr das, was es mal war. Das trifft aber auch auf andere Genres zu, etwa den Mantel- und Degen- oder den Sandalenfilm und ihre Entsprechungen im Roman. Ab und zu ein aufwendig produzierter Film dieser Genres findet immer sein Publikum und hier und da auch mal ein Roman, aber die großen Zeiten des Western sind vorbei, zumindest in Deutschland. Kommen sie mal wieder? Keine Ahnung, zu wünschen wäre es. Meine Actionthriller verkaufen sich Pi mal Daumen zehnmal so gut wie meine Western und das liegt garantiert nicht daran, dass die Western keine schöne Aufmachung hätten. Das große Publikumsinteresse fehlt. Daher hinke ich mit meinen Plänen für die Mountain-Men-Serie auch hinter meiner eigenen Planung her. Die Wild Hunters gehen einfach vor. Ich muss zwar nicht vom Schreiben leben, aber auch das Taschengeld sollte halbwegs stimmen.
Jungen Autoren kann ich nicht zum Western raten, aber auch nicht davon abraten. Mein Rat ist: Schreibt, worauf ihr Lust habt, und wenn das ein Western sein soll – nur zu! „Wind River Gold“, meinen ersten Mountain-Men-Roman, habe ich geschrieben, weil ich das wollte, nicht weil ich mir Reichtum ausgemalt habe, und ich weiß noch, dass ich mir damals gesagt habe, wenn ich 100 Leser finde, bin ich glücklich. Inzwischen (10 Jahre später) sind um die 2000 Exemplare weggegangen.
KJR: Ihre Western erscheinen zumeist als Paperbacks und Ebooks. Für Sammler sind Ebooks einfach nur katastrophal, man erwirbt bloß ein Nutzungsrecht und darf diese Dateien nicht besitzen und erst recht nicht weiterverkaufen. Dieser unhaltbare Zustand sollte m. E. schnellstens beendet werden. Liebevoll gemachte Paperbacks oder Hardcover sind hier etwas ganz anderes. Das bringt mich zum Thema der Veröffentlichungsformen. Wo sehen Sie hier die besten Chancen? Welche Veröffentlichungsformen bevorzugen Sie?
MU: Ich besitze selbst einen eReader, und zwar einen teuren (Kindle Voyage) und ich habe da eine Zeitlang auch drauf gelesen. Aber letztlich bin ich zum gedruckten Buch zurückgekehrt. Damit bin ich aufgewachsen und das liebe ich über alles. Nichts geht über ein hübsch gestaltetes Buch auf Papier. Aber okay, das ist Oldschool. Die tatsächlichen Verhältnisse sind so, dass knapp 80 Prozent meiner verkauften Exemplare eBooks sind, knapp die Hälfte davon geliehene eBooks über Amazon Unlimited, also über eine Flatrate, bei der die Leser die Dateien nicht mal ansatzweise besitzen möchten, geschweige denn, sich ein gedrucktes Buch kaufen.
KJR: Stichwort Übersetzungen. Streben Sie Übersetzungen in andere Sprachen an? Sehen Sie gute Chance für solche Übertragungen? Hierbei würde mich vor allem der Aspekt ‚deutschsprachige Originale in englischsprachiger Fassung‘ interessieren.
MU: Über Übersetzungen würde ich mich freuen, welcher Autor würde das nicht? Aber ich glaube nicht, dass da etwas kommt. Der Redrum-Verlag, bei dem meine Action-Thriller erschienen sind, hat versucht, auf dem englischsprachigen Markt Fuß zu fassen, die Übertragungen nach den ersten Titeln aber wieder aufgegeben.
KJR: Hat Mario Ulbrich Pseudonyme genutzt? Wenn ja, können Sie uns einige nennen und warum und wann haben Sie überhaupt Decknamen benutzt?
MU: Früher habe ich humoristische Sachen unter meinem Klarnamen veröffentlicht, auch meine ersten Kriminal- und Horrorgeschichten sind so veröffentlicht worden. Bis ich mehr Ernsthaftes schrieb und mir dachte, dass mein Name ein Stimmungskiller für Western oder Thriller ist. Würden Sie ein Mountain-Men-Abenteuer von einem Typen namens Mario Ulbrich lesen? Ich nicht. Meine Western sind daher alle unter John F. Cooper erschienen, wobei das vor allem mit dem Schriftbild zu tun hatte und mir erst hinterher klarwurde, dass ich unterbewusst ein Pseudonym gewählt hatte, das sehr gut zur Zeit der Vorderlader und Lederritter passt. Meine Thriller erscheinen unter U.L.Brich, was ein wenig augenzwinkernd ist, aber härter klingt als mein Allerweltsname.
KJR: Wie lebt ein Autor unterhaltender Belletristik? Ein wenig Homestory interessiert immer.
MU: Zuallererst geht er mal auf Arbeit und am Abend hat er keinen Bock mehr darauf, irgendetwas zu schreiben, weil er den ganzen Tag nichts anderes getan hat. Telefonieren, herumfahren und schreiben. Ich bin Reporter bei einer großen Tageszeitung in Sachsen, damit verdiene ich mir seit 35 Jahren meine Brötchen, obwohl der Journalismus nur ein Abfallprodukt meines Hobbys, der Geschichtenschreiberei, ist. Das wird sich bis zu meiner Rente auch nicht mehr ändern, weil ich nicht bereit bin, die Geschichten zu schreiben, nach denen die Verlage gerade gieren. Ich will das schreiben, worauf ich Lust habe. Wie gut, dass die Schriftstellerei ein Hobby geblieben ist (obwohl ich manchmal schon damit hadere).
Immerhin habe ich seit drei Jahren eine Teilzeitregelung, das heißt, ich habe jeden Monat eine Woche frei, in der ich mich meinen Schreibprojekten widmen kann. Dann fange ich nach dem Frühstück, während dem ich ein Buch lese, so gegen 9 Uhr mit der Schreiberei an. Ich nehme mir immer einen bestimmten Handlungsabschnitt aus meinem „Drehbuch“ vor. Das können mal drei Seiten werden, mal zehn. Im Schnitt sind es fünf bis sieben. Danach ist Zeit für ergänzende Recherchen und das nochmalige Durchlesen des Geschriebenen. Überarbeitungen gibt es bei mir kaum. Ich schreibe langsam, aber ein Absatz, der steht, steht.
Nachmittags, wenn meine liebe Frau ihr (ungleich größeres) Pensum für Lassiter, den Bergdoktor oder Dr. Stefan Frank bewältigt hat, gehen wir eine Runde in den Wald, um den Kopf auszulüften und am Wochenende sind wir gerne in der Wildnis unterwegs. Mountain-Men-Feeling. Aber bitte mit Dusche am Abend! Man muss es ja nicht übertreiben.
KJR: Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft – privat und als Autor?
MU: Ich wünsche mir, dass unser Leben so schön bleibt, wie es ist. Wir haben uns gesucht und gefunden. Darüber hinaus wäre allerdings ein großer Lottogewinn optimal, denn dann könnte ich zu Hause bleiben und nur noch Geschichten schreiben. Und meine Frau käme endlich mal dazu, eins ihrer Wunschprojekte umzusetzen, die derzeit hinter der Heftchenschreiberei zurücktreten müssen.
KJR: Ich danke für die bereitwillige Beantwortung meiner teils indiskreten Fragen!